Der literaTurm Blog

03.06.2016 - 18:10 Uhr

Adaptionen

Wie ist das, wenn ein 800-Seiten-Buch, Frank Witzels Buchpreis-Roman 2015 „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen mansch-depressiven Teenager im Sommer 1969“, auf die Theaterbühne gebracht wird? Oder als Hörspiel erscheint?

Vor der Veranstaltung: Leonhard Koppelmann im Gespräch mit Sonja Vandenrath und Frank Witzel
Vor der Veranstaltung: Leonhard Koppelmann im Gespräch mit Sonja Vandenrath und Frank Witzel

Dazu unterhielten sich in der Ausstellungshalle Schulstraße 1A der Autor Frank Witzel, der Hörspielproduzent Leonhard Koppelmann und der Intendant des Stuttgarter Schauspiels Armin Petras; Alf Mentzer von hr2-kultur moderierte.

„Ich hoffe, dass nichts aus einer Verfilmung wird“, bemerkte Witzel gleich zu Beginn der Unterhaltung. Er habe keine Aversion gegen den Film, aber ein solches Projekt sei doch allzu kommerziell. „Beim Schauspiel und beim Hörspiel ist das anders“, fügte er hinzu. Er hatte ein Mitspracherecht, die Agierenden kannten einander – schon vor der Verleihung des Deutschen Buchpreises. „Ich finde interessant, wenn jemand etwas daraus macht“, erklärte Witzel. Nein, er habe keine Befürchtungen, wenn sein Text verwendet wird.

„Es wurde schon sehr früh über ein Theaterstück nachgedacht, im April 2015 – da war der Preis noch gar nicht in Sicht“, erzählte Petras. „Der Text ist ein Steinbruch an Reproduktionsflächen“, merkte Koppelmann an.

Gesprächspartner Armin Petras, Leonhard Koppelmann und Frank Witzel
Gesprächspartner Armin Petras, Leonhard Koppelmann und Frank Witzel

Aber funktioniert die Umsetzung einer Geschichte aus einer Vergangenheit, die man selbst nicht erlebt hat? Die Frage erstaunte Petras: „Es ist unerheblich, was man selbst erlebt hat. Ich inszeniere auch ‚Hamlet’, obwohl ich nicht im 16. Jahrhundert gelebt habe.“
Aus Witzels Roman könne man vieles entnehmen, ein „Kleinkochen“ allerdings wäre absurd. Deshalb müsse man für die Bühne Geschichten auswählen. „Ich mache seit über 20 Jahren Theater. Dieses Buch hat mich emotional berührt“, erklärte der Regisseur, „deshalb wollte ich es auf die Bühne bringen.“
„Und es ist kein Nostalgie-Roman, das wäre für mich das schlimmste Missverständnis gewesen“, fügte Witzel hinzu.

Koppelmann kam noch einmal auf die Auswahl zu sprechen: „Nicht der Kieselstein, der ins Wasser geworfen wird, ist interessant, sondern die Wellen sind es, die der Stein erzeugt.“

Petras hat ein zwei Stunden und zwanzig Minuten langes Theaterstück erarbeitet, die gerade vorliegende Hörspielfassung ist 165 Minuten lang. „Aber wir müssen sie noch auf 100 Minuten eindampfen“, sagte Koppelmann. Das geschehe einverständlich mit dem Autor.

Im Theaterstück liegt der Fokus auf der pubertierenden Jugendgruppe und die Ankunft von einigen dieser Jugendlichen in der RAF.

Im Hörspiel dagegen werden zwei Räume ausgewählt; das Jugendzimmer und das Sterbezimmer des Ich-Erzählers, „es ist die Gegenläufigkeit von jungem und altem Ich“, erläuterte Koppelmann.

Ein Trailer zum Schauspiel von Armin Petras und Maja Zade, das im April 2016 an der Berliner Schaubühne Premiere hatte und im Juli noch dort zu sehen sein wird, führte in die Theaterfassung ein. Zwischen 35 Schaufensterpuppen agieren fünf Schauspieler. „Wir wollten die Welt als Warenhaus imaginieren, denn so stellt sie sich doch in Deutschland heute dar“, erklärte Petras. Ein Aussage von Ulrike Meinhof wurde in den Text „hineingemogelt“ – das ist Frank Witzel natürlich aufgefallen („Es passt schon“, sagte er.) – sonst sei man texttreu.

Ebenfalls am Text geblieben sei die Hörspielfassung. „Man muss dabei der Stimme des Autors habhaft werden, das ist ausschlaggebend. Der Roman ist anti-linear, man kann immer wieder hineinlesen. Aber Bühne und Hörspiel sind an Linearität gebunden“, erklärte Koppelmann. „Das heißt aber, dass die verschiedenen Texturen, die das Buch enthält, in den anderen beiden Medien nicht wiedergegeben werden können“, schlussfolgerte Alf Mentzer. „Ich sehe jedes Medium für sich“, bemerkte Witzel. „Das Theaterstück war schon ein seltsames Erlebnis für mich. Ich kannte jede Zeile, trotzdem war es nicht mein Text. Buch und Stück können nicht miteinander verglichen werden.“
„Der Theatermann hat immer Probleme, zu viel fehlt“, meinte Petras.
„Es ist der Kampf um das Bild der eigenen Person in einer nicht fassbaren Realität, der dargestellt werden sollte“, formulierte Koppelmann. „Doch der Schluss taucht gleichermaßen auf der Bühne und im Hörspiel auf – das fand ich schön“, sagte Witzel.

Technik-Test vor Beginn des Gesprächs
Technik-Test vor Beginn des Gesprächs

Die Anfangsszene des Hörspiels wurde coram publico abgespielt – das war auch für Frank Witzel eine Premiere. „Ich könnte das jetzt weiterhören, es ist so, wie ich mir das auch vorgestellt hätte“, sagte der Autor.

Es fällt auf, dass die Stimmen zwar jung klingen, aber der Text keineswegs von Teenagern gesprochen wird. „Ich bin an diesem Problem gescheitert“, gab Petras zu. Gerne hätte er Jugendliche auf der Bühne gehabt, probierte das sogar – aber es funktionierte nicht: „Die Jugendlichen waren zwar authentisch, aber die Schauspieler wurden von Probe zu Probe besser, die Jugendlichen eher nicht.

Das Publikum in der Ausstellungshalle konnte auf der Leinwand die erste Szene des Theaterstücks mitverfolgen.

„Im Hörspiel fehlt diese Szene. Ist das nicht ein Sakrileg?“, wollte Mentzer wissen. „Es ist immer und alles ein Sakrileg. Doch diese erste Szene ist in der Öffentlichkeit so bekannt, dass wir darauf verzichteten“, erklärte Koppelmann.

Im Buch spielt Musik eine große Rolle. Und in den beiden anderen Medien? „Statt Beatles und Stones wollte ich eine Punk-Band auf der Bühne. Als wir das bei der Lesung im April im Literaturhaus in Stuttgart diskutieren, ging die Stimmung des Publikums in den Keller“, erzählte Petras. „Aber es war eine gute und logische Entscheidung“, äußerte Witzel. „Außerdem singt die Band auch Witzel-Texte“, ergänzte der Theatermann.
„Für das Hörspiel hat Frank Witzel die gesamte Musik geschrieben“, verriet Koppelmann. (Beifall vom Publikum.) „Ich habe wie in einem zweiten Arbeitsprozess mich noch einmal in die Geschichte fallen lassen, etwa 30 bis 40 Stücke komponiert. Koppelmann musste also auch noch die Musik kürzen“, scherzte Witzel.

Auf dem Podium: Armin Petras, Leonhard Koppelmann, Frank Witzel und Alf Mentzer
Auf dem Podium: Armin Petras, Leonhard Koppelmann, Frank Witzel und Alf Mentzer

Petras nutzt auf der Bühne zudem Videotechnik. „Das ist beeindruckend“, gestand Witzel. Seine erste Kritik nach der Premiere des Theaterstücks galt jedoch der Tatsache, dass die im Buch beschriebene Bedrücktheit der hessischen Provinz nicht im Zentrum steht. „Mit war das ein zentrales Thema, aber Petras hebt die Strukturen auf. Bei mir ist der Pfarrer auch keine clowneske, sondern eine bedrückende Figur.“
„Theater passiert an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, es ist anders als ein Roman“, entgegnete Petras.
„Das leuchtet mir ein. Theaterstück und Hörspiel sind eigene Werke, ich habe Respekt vor denen, die solche Fassungen erarbeiten“, sagte Witzel.

Passt also. Ein Roman kann nicht eins zu eins in ein anderes Medium umgesetzt werden. Aber er bietet in diesem Fall eine Materialfülle, aus der wieder eigene Werke entstehen.