Der literaTurm Blog

11.06.2016 - 18:21 Uhr

Die Krähe

Kader Abdolah und Jutta Himmelreich
Kader Abdolah und Jutta Himmelreich

Sensationell ist der Blick aus der 19. Etage des OpernTurms. Im Konferenzraum von Russell Reynolds Associates waren literaTurm und Litprom, die Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu Gast. Der Autor Kader Abdolah unterhielt sich mit Jutta Himmelreich, Jochen Nix las die deutsche Übersetzung.

„Sie haben die Aufstiegschance genutzt – schön, dass Sie hier sind“, begrüßte die Übersetzerin die Gäste. Zu Kader Abdolah sagte sie: „Wir können uns auf Englisch oder auf Farsi unterhalten – wie Sie mögen.“ Der Autor bevorzugte Englisch: „Ich habe den Kopf voll Niederländisch und noch nie eine Lektion auf Persisch gehalten.“

Kader Abdolah, ein Pseudonym, es sind die Namen zweier ermordeter Freunde, musste als Linker, der sich gegen Schah und Ajatollahs stellte, 1985 aus dem Iran fliehen. Seine 2015 auf Deutsch erschienene Novelle „Die Krähe“ erzählt vieles über Flucht und Neubeginn. Seit 1988 lebt Kader Abdolah in den Niederlanden.
„Meine Sprache wurde von Schah und Ajatollahs vergiftet. Deshalb schreibe ich auf Niederländisch“, erklärte der Schriftsteller.
„Die Flucht in die Niederlande kostete damals 2000 US-Dollar, nach Berlin hätte sie 7000, nach den USA 10.000 Dollar gekostet“, bemerkte Kader Abdolah.

Der Autor Kader Abdolah erzählt
Der Autor Kader Abdolah erzählt

Refiq Foad, seine Hauptfigur in „Die Krähe“, ebenfalls iranischer Flüchtling und nun in Amsterdam als Kaffeemakler lebend, schlägt sich beruflich einigermaßen durch, träumt aber davon, Bücher zu schreiben.

In der ersten von Jochen Nix vorgetragenen Passage wird vom Bau der größten Moschee in Westeuropa berichtet – ein Jahrtausend nach der Vertreibung der Mauren aus Córdoba bauten Muslime dieses Gotteshaus. Und siegten so doch noch irgendwie und auf andere Art.
Außerdem wird ein Überfall auf die amerikanische Botschaft in Teheran geschildert, den Foad durch Zufall miterlebt und den Revolutionsgarden durch die Hilfe einer Frau gerade so entkommt.

Kader Abdolah erzählte anschließend, wie er zum Schreiben kam. Sein Urgroßvater war ein bekannter persischer Autor. „Ich wollte schon mit 14 ein berühmter und vor allem beliebter Schriftsteller werden.“ Sein Vater war taubstumm, der Sohn musste ihm Gehör und Sprache sein. Er sei damals nicht ein Kind mit eigenen Vorstellungen gewesen, sondern gleichsam der Schatten seines Vaters. Genau das habe auch seine Mutter in ihm gesehen. „Ich trage das als Rucksack mit, war nicht ich selbst. 50 Jahre später wurde mir klar: Ich bin ein bisschen positiv verrückt, aber ich kann nur schreiben und muss schreiben“, äußerte Kader Abdolah.

Publikum im Konferenzsaal
Publikum im Konferenzsaal

Als er floh, waren alle Grenzen weg; familiäre, politische, geografische. „Ich musste ich selbst werden, nahm mir die niederländische Sprache und wurde frei mit einer neuen, eigenen Identität, die allerdings auf dem in Iran Erlebten basiert.“ Er sei sich in den Niederlanden wie ein Astronaut auf einem anderen Stern vorgekommen.

Auf die Frage, ob er sich seinen Kampfgenossen verpflichtet fühle, antwortete er: „Kultur und Geschichte brauchen Leute, die das, was geschieht, aufschreiben. Ich bin das Produkt der Immigration nach Europa.“ Kader Abdolah schreibt außerdem unter dem Pseudonym Mirza (persisch „Chronist“) für die niederländische Tageszeitung „De Volkskrant“ eine wöchentliche Kolumne.

In der zweiten Passage wird kurz auf die Geschichte von Irak und Iran eingegangen. Beide Länder bekämpften einander 13 Jahrhunderte lang, dann legten sie ihren Streit weitgehend bei. Nach USA-Unterstützung des Irak seit 1979 wurden sie wieder in kriegerische Konflikte verwickelt, die acht Millionen Tote forderten. Millionen Flüchtlinge verließen ihre Heimat. „Wer Haus und Hof verlässt, ist nicht mehr derselbe“, schreibt Kader Abdolah. Im Übrigen sei die traditionelle Feindschaft zwischen Persern und Arabern im Ausland kein Thema mehr; was in den Heimatländern einst als Tabu galt, ist nun im Ausland auf einmal unwichtig geworden.

Jochen Nix trug die deutsche Übersetzung vor
Jochen Nix trug die deutsche Übersetzung vor

„Wenn ich solche Bücher als Geschichtsbücher gehabt hätte, wäre Geschichte mein Lieblingsfach gewesen“, kommentierte Jutta Himmelreich.

„In Deutschland arbeiten kluge, gut ausgebildete Iraner als Taxifahrer. Ich unterhalte mich manchmal mit ihnen, aber ein tieferes Gespräch kommt nicht zustande. Die erste Generation der Flüchtlinge hat ihre Träume an ihre Kinder weitergegeben, die studieren dann“, fügte der Autor hinzu. „Nach 25 Jahren in den Niederlanden weiß ich: Ich suchte eine Art reines Gold – genau wie die anderen Millionen Immigranten. Es geht dabei nicht um das Edelmetall, die neue Identität ist Gold. Und die vielen Immigranten sind Gold für die Länder, in die sie einwandern. Es dauert nur sehr lange, bis das erkannt wird.“
Kader Abdolah wollte sein Land nicht verlassen, aber er sah keinen anderen Weg. „Auf Niederländisch zu schreiben fühlt sich gut an“, sagt er heute. Eine neue Sprache sei wie ein neues Licht und gebe Kraft und Selbstbewusstsein. Die Gesellschaft müsse das unterstützen, um positive Energien freizusetzen. Gelingt ihr das nicht, kehre sich die Energie der Eingewanderten ins Negative.

Buchhändlerin Angelika Schleindl verkaufte Romane des Autors
Buchhändlerin Angelika Schleindl verkaufte Romane des Autors

In der dritten vorgetragenen Passage erleben die Zuhörer die Situation in einem Fahrstuhl mit. Refiq Foad wird wegen seiner Herkunft von einem Niederländer subtil beleidigt. Plötzlich platzt Foad der Kragen, er rezitiert laut ein Gedicht – es ist ein abgewandeltes niederländisches Nationalepos. Nie wieder wird der Eingewanderte von diesem Nachbarn verbal angegriffen.

17 Bücher veröffentlichte Kader Abdolah bisher, sie wurden in 30 Sprachen übersetzt. „Ich bin wie ein schöner Garten, aber voller niederländischem Regen“, meinte er scherzhaft. Nein, er schreibe nichts mehr auf Persisch – einzig sein Tagebuch noch.