Der literaTurm Blog

11.06.2016 - 20:48 Uhr

Im Laut!Mehr

Nora Gomringer
Nora Gomringer

In der Ausstellungshalle Schulstraße 1A präsentierten sich gleich vier Laut-Artisten: der Schriftsteller, Lautpoet und Musiker Michael Lentz, sein niederländische Kollege Jaap Blonk und das Duo Wort Drum Dran – Nora Gomringer & Philipp Scholz.

Wer kennt nicht das Gedächtnisspiel „Ich packe meinen Koffer“? In der von Gomringer & Scholz vorgetragenen Version war es allerdings ein Novum. Nora Gomringer brillierte mit Lang- und Schnellreimen, steigerte sich vom überlegten Zusammentragen von sinnlosen und sinnvollen Utensilien zum raschen, wahllosen Griff in Fächer und Schränke, alles immer schneller hinein ins Gepäckstück, rasend wie ein ICE – und schließlich, abgebremst, sanft, beruhigend.

Nora Gomringer und Philipp Scholz
Nora Gomringer und Philipp Scholz

Das Ernst Jandl-Gedicht „Perfektion“ folgte, der Singsang Kurt Schwitters durfte nicht fehlen, Dada lässt grüßen 100 Jahre nach seiner Geburt.

„Kein Fehler im System.“ Ein feiner, keinen Widerspruch duldender Satz. Eine Feststellung, die Hand und Fuß hat und basta. Oder doch nicht? Lautmalerisch ein äußerst ergiebiger Satz, wie das Duo Wort Drum Dran bewies – der Text stammt von Eugen Gomringer, Noras Vater. Und wie hübsch ist die letzte Komposition in der durcheinandergewirbelten Wortkaskade: „Sei fest, kleiner Mime.“

Es wurde nicht nur 100 Jahre auf Dada zurückgegriffen, sondern gar 5000, auf chinesische Hexameter von Yi Jïng. „Lassen Sie uns gemeinsam durch die acht Häuser einer chinesischen Neubausiedlung gehen, nachgebaut von Eugen Gomringer“, forderte Nora Gomringer auf. Häuser aus Lauten, Gesten, Mimik. Unverständlich verständlich. Phonetisch animierte kleine Kostbarkeiten, die ohne Sprache funktionieren.

Von chinesischen Neubauten ging es in die spanischen Avenidas. Drei Worte für ein Lebensgefühl, mehr brauchen Eugen und Nora Gomringer (Text und Interpretation) nicht, um die Zuhörer in die Atmosphäre der Ramblas zu versetzen.

Michael Lentz
Michael Lentz

Den prägnanten ironischen Abschluss dieses Parts bildete die Beschreibung einer Lesung: „Was wirklich geschieht.“

Mit Anagrammen begann Michael Lentz; „Lies es“, „Wut dosieren“, „Desorganisieren“ – ein Furor an Wortwirbeln.
In Erinnerung an eine Zugfahrt in einem Abteil mit betrunkenen, rauchenden, dumm schwatzenden Dortmunder Fans lief Lentz in einem Situationsgedicht zur Höchstform auf. Ziemlich realistisch, die Aversion gegen eine solche Zwangsbegegnung übertrug sich körperlich auf die Zuhörer.

„Wie es früher war“ – so hieß die folgende Performance, „die Zusammenfassung all unserer Kindheit“, erläuterte Lentz. Text, Geräusche sowohl vom Band als auch live verbanden sich zu einem Konglomerat. Erinnerungsbeladene Flüsterworte kollidierten mit lärmender Gegenwart. Am Ende blieb ein Knacken wie bei einem Radio, dem die Sender ausgegangen sind.

Jaap Blonk
Jaap Blonk

Der vierte Lautmaler, der Niederländer Jaap Blonk, Komponist, Sänger und Lautpoet, kündigte gleich zu Beginn zwei Uraufführungen an. In einer Aneinanderreihung von Frank-Zappa-Zitaten mit Klavierbegleitung bot Blonk eine opernhafte Performance, die so erstmals zu hören war.

Eine weitere Hommage an Dada war Hugo Balls „Seepferdchen und Flugfische“.

In sieben verschiedenen Sprachen folgte „First Class Nightmares“; nachvollziehbar wurden Angst und Schrecken, Furcht und Schweißausbrüche, Kämpfe gegen Ungeheuer, Schlottern und Beben.

Michael Lentz und Jaap Blonk: Niederländisch
Michael Lentz und Jaap Blonk: Niederländisch

Auch der Brief eines Anwalts wurde zur Lautpoesie, die Frage, ob ein Gedicht – zunächst vorwärts, dann rückwärts vorgetragen, also quasi wieder verschluckt und verschwunden – noch unter das Urheberrecht fällt, blieb offen. 
„Ich wusste ja, gute Lautpoesie lässt sich vorwärts und rückwärts lesen“, kommentierte Blonk.

Gemeinsam mit Michael Lentz erinnerte Jaap Blonk an die Kunstrichtung Fluxus, anschließend wurde die Behauptung, das Niederländische sei wohl mehr eine Halskrankheit als eine Sprache, in Lautpoesie umgesetzt und um die Wette gekrächzt und gestöhnt beim Umwandeln niederländischer Flüche in eben noch so akzeptable Bemerkungen. Am Ende waren sich die beiden Performer in der Formulierung „godogod“ einig.

Vier Lautpoeten performen gemeinsam
Vier Lautpoeten performen gemeinsam

„Vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so“, hieß die abschließende Performance aller vier Lautpoeten. Der Vortrag, zugleich eine Verneigung vor Georg Büchner, erforderte von allen höchste Konzentration und wurde vom Publikum mit viel Beifall bedacht.

Eine Zugabe gab es von Jaap Blonk: Gemeinsam mit dem Publikum trug er ein kollektives Lautgedicht vor.

Ein Abend, der den Gästen viel Spaß gemacht hat, sie zum Staunen und Lachen brachte und ihnen – falls ihnen solche Klänge, Rhythmen, Melodien bis dato unbekannt waren – einen hervorragenden Eindruck von Lautpoesie und ihrer Vielfalt vermittelten. Ein Abend, der von den vier Künstlern Höchstleistungen abforderte. War eben keine Wasserglaslesung, sondern ein Eintauchen ins Lautmeer.