Der literaTurm Blog

07.06.2016 - 16:12 Uhr

Morgen mehr

Der Blick aus der 29. Etage hat etwas
Der Blick aus der 29. Etage hat etwas

Die 29. Etage des OpernTurms ist echt eine coole Location – die Besucher genossen den Blick auf die Stadt, ehe sie dem Gespräch zwischen Autor Tilman Rammstedt und Björn Jager, Leiter des Hessischen Literaturforums, lauschten.

Vorher begrüßte Jörg Siegels von der Wirtschaftssozietät Morgan, Lewis & Bockius die Gäste im beeindruckenden Konferenzraum. „So weit entfernt sind Autor und Anwalt gar nicht“, sagte er, „wir befinden uns doch beide auf der Höhe der digitalen Zeit. Ich werde beispielsweise Sekunden nach dem Eingang der Mail bereits am Telefon gefragt, was ich denn vom Text halte. Auch für Anwälte ist die Arbeit manchmal ein wahnwitziges Abenteuer.“

Björn Jager stellte den Autor kurz vor; er habe eine Weile Philosophie und Literaturwissenschaft – „eine lange Weile“, ergänzte Rammstedt – studiert, „Morgen mehr“ wird als fünfter Roman von ihm erscheinen. Und wie kam es zur Idee, die Geschichte zunächst als Fortsetzungsreihe im Internet zu veröffentlichen?

Tilman Rammstedt im Gespräch mit Björn Jager
Tilman Rammstedt im Gespräch mit Björn Jager

„Diese Idee hatte ich schon so vor sechs, sieben Jahren“, erzählte Rammstedt. „Ein E-Book-Verlag fragte, ob ich nicht etwas in der Schublade hätte. Hatte ich nicht. Aber ich wollte schon regelmäßig etwas machen. Dann drängte der Hanser Verlag, es wurde vereinbart, dass ich jeden Tag ein Kapitel schreibe – am Wochenende hatte ich frei. Die Leser sollten ein Abo abschließen, tatsächlich hat es wohl einige gegeben“, erklärte der Autor. „Das Schlimmste war immer die Preview in Form von Emoticons“, fügte er hinzu.

„Schreibblockade und Fortsetzungsroman – wie geht das denn zusammen?“, fragte der Moderator. „Fortsetzungsromane sind einfach, Tolstoi schrieb auch jede Woche ein Kapitel von ‚Krieg und Frieden’. Aber eben nicht jeden Tag. Und mit der Schreibblockade muss es jetzt mal ein Ende haben“, bemerkte Rammstedt.
Irgendwie sei diese Fortsetzungsgeschichte auch eine Art Therapie gewesen. „Zweifel kamen immer noch – aber sie mussten schneller wieder gehen“, fügte Rammstedt hinzu.

„Der Plan war, keinen Plan zu machen. Aber ich hätte wahnsinnig gerne geschummelt“, bekannte der Autor. „Es gab nur diesen noch nicht geborenen Ich-Erzähler. Und wirklich schummeln wollte ich letztendlich dann doch nicht“, setzte er hinzu.

Die Location OpernTurm im Spiegel der Fassade der Deutschen Bank
Die Location OpernTurm im Spiegel der Fassade der Deutschen Bank

Mit Korrektor Jo Lendle wurde irgendwann während der Arbeit entschieden, dass aus dem Experiment ein Buch werden sollte. Doch wie viel Zeit konnte man sich dafür nehmen? „Ich habe die Online-Kapitel in sechs bis sieben Wochen überarbeitet, ein paar Kapitel sind auch gestrichen worden“, erzählte Rammstedt.
Dann las er aus dem bereits als Rohmanuskript vorliegenden Buch die Anfangskapitel – eine ziemlich verzwickte Ausgangsposition. Auf die Frage, ob es denn schon Korrekturen gäbe, antwortete Rammstedt: „Ich habe nur ein paar Bemerkungen wie ‚besser’ oder ‚anders’ gemacht.

Der noch nicht geborene Erzähler sinniert über den Wert des Lebens. „Wenigstens einmal durchgeschüttelt werden wie bei einer Schneekugel – das wäre schon schön“, sagte er schließlich.

In der Online-Fassung hatte der Autor drei Monate Zeit bis zur Zeugung des Protagonisten – im Buch schmolz das auf einen Tag zusammen. Schwierig. „Ich stehe ein bisschen bockig vor sogenannten realistischen Romanen. Manchmal mag ich Realismus nicht, manchmal traue ich mir den nicht zu“, äußerte Rammstedt.

Weit kann man über die Stadt sehen
Weit kann man über die Stadt sehen

Vor dem Kapitel, in dem Frankfurt eine Rolle spielt, merkte er an: „Ich habe nicht viel über Frankfurt recherchiert, aber dass es Wasserhäuschen gibt, weiß ich. Ich brauchte eine Nachtverkaufsstelle.“
Während der Zement an den Füßen des künftigen Vaters des Erzählers aushärten soll – eine Verwechslung brachte den Mann in die missliche Lage, nun im Main versenkt zu werden – unterhalten sich Opfer und möglicher Mörder. Doch nichts hilft, der Main soll zum nassen Grab werden. Auf dem Flussufer angekommen, muss der künftige Vater dann absurder Weise so enorm nießen, dass der Zement gesprengt und der Mann gerettet wird.

Schon schick, das Konferenzzimmer der Wirtschaftsanwälte – hier wurde es zum literarischen Salon für Tilman Rammstedt und Björn Jager
Schon schick, das Konferenzzimmer der Wirtschaftsanwälte – hier wurde es zum literarischen Salon für Tilman Rammstedt und Björn Jager

Dem Publikum, das begeistert und oft mit lautem Lachen der Lesung folgte, hat es gefallen. Am Büchertisch konnte man zwar das Buch noch nicht kaufen – aber vorbestellen. Und eine gute Buchhandlung schickt ja das Bestellte sogar noch pünktlich nach dem Erscheinen nach Hause.

Weiter geht die Geschichte im Gangsterauto, ein halbwüchsiger, einen Fragebogen ausfüllender Junge wird noch mitgenommen. Das Trio Gangster, Opfer und Junge so ungewöhnlich und abartig wie skurril.

„Ich brauchte viele Wunder in meinem Buch. Als ich schrieb, wurde am Abend das Kapitel mit einem super Satz beendet. Am Morgen staunt man darüber – und braucht ein Wunder“, bekannte Remmstedt.